Leserbrief

Uff, da hat es die Mehrheitsfraktion wieder mal geschafft. Ein Stück typisches Bad Essen wird eliminiert. Schon von weitem sieht jeder Sportbootfahrer, jetzt kommt der tolle Hafen in dem fashionable Kurort Bad Essen. Später fährt er einfach vorbei. Aber für die CDU gilt: Tatsachen müssen geschaffen werden. Erst handeln, dann denken. Erst mal abreißen, dann Konzepte erstellen. Auch für die Politiker sollte gelten: erst denken, dann handeln. Während wir uns im Fernsehen und Internet begeistern wie andere Kommunen ihre Diamanten zu Brillanten schleifen, fällt den Bad Essenern für ihren Rohdiamanten nur die Abrissbirne ein.

Das ist allerdings nicht neu: das alte Badehaus (siehe Bericht im Wittlager Kreisblatt vom 13.03.2018) gibt es schon lange nicht mehr, die wunderschöne Jugendstilvilla der Reedersfamilie Rickmers, weg, zugunsten eines Betonklotzes, auch schon wieder weg, nichts mehr da, um an dieser Stelle in schönem Ambiente auf das Norddeutsche Tiefland zu gucken.


(alle Fotos: © Joachim Lücht)

Der Kurort Bad Essen hat kein Hallenbad mehr. Schade für Gäste und Sportler.

Das Haus Niedersachsen an der Schledehauser Straße/Ecke Bergstrasse, ein ehemaliges Kurheim (Stil Alte Apotheke) musste einem geplanten Straßenbau weichen, in einer Nacht- und Nebelaktion, wieder die Abrissbirne. „Zufällig“ gab es beim Abriss einen Baggerunfall und der Eigentümer der benachbarten Fachwerkhäuser, damals unbewohnbar, wurde aufgefordert, auch seine Häuser im selben Atemzug plattzumachen. Glück für die Bad Essener, dass der Eigentümer sich weigerte. Wie gelungen steht heute die Praxis Aktivita in den schönen Fachwerkhäusern Bad Essens.

Die geplante Straße wurde nicht gebaut und somit konnte der Pfarrgarten, eine kleine grüne Lunge direkt hinter dem Kindergarten, erhalten bleiben. Aber beileibe nicht, weil Bad Essener Politiker Argumenten zugänglich gewesen wären, nein, nur weil Bad Essener Bürger Durchhaltevermögen, Kraft, 18 Jahre Zeit und viel Geld in juristische Verfahren gesteckt haben, um dieses Grün mit altem Baumbestand zu erhalten, das wunderschöne Fachwerkhaus ist allerdings unwiederbringlich verloren. (Alte Fotos finden sich beim sehr engagierten Arbeitskreis: Ortsgeschichte Bad Essens)

Auch der Schafstall steht gegen den Willen damaliger Politiker noch. Auch hier mussten Bad Essener Bürger mit Hilfe der Institutionen wie dem „Heimatbund Niedersachsen“ und der „Interessengemeinschaft Bauernhaus e.V.“ Druck ausüben. Ohne Gesichtsverlust hätte man ihn nicht mehr plattmachen können. Heute schmückt sich die Gemeinde auch hier mit einem Kulturhaus in einem wunderbaren Ambiente.

Wäre es nach der Denkweise der damaligen Politiker gegangen, wären wir heute kein gewachsener Fachwerkort mehr. Beton musste her, siehe Villa Rickmers. Warum jetzt wieder alles übereilen? Der Speicher fällt in 100 Jahren nicht um. Lassen wir uns
inspirieren von vielen positiven Beispielen überall in Deutschland. Lassen wir kreativen Leuten die Chance, ihre Ideen vorzustellen, gestalten wir jetzt schon das Umfeld, hängen den Speicher mit einem Trompe-l’oeil, also einer dreidimensionalen Attrappe, ab, so dass beim Anschauen die Fantasie angeregt wird. So könnte es aussehen! (siehe Berliner Schloss, Berlin Leipziger Platz, Honfleur, Normandie).

Schaffen wir keinen Baukrater und fangen dann an zu denken.

Ich zitiere eine Ratsfrau: „Möglicherweise werde ich meine Entscheidung noch bereuen“. Ich bin mir sicher, sie wird’s, wenn jahrelange Brache den Sand über den dann nicht mehr frequentierten Hafen weht.

Fraktionszwang statt selbständigem Denken. Ist nicht jeder Politiker per Gesetz nur seinem eigenen Gewissen gegenüber verantwortlich? Bei WTL und OS am Auto dürfen die Kreistagsabgeordneten frei entscheiden. Beim Speicher, der noch in der vergangenen Legislaturperiode als Leuchturmprojekt bejubelt wurde, stimmen dieselben Politiker heute anders, nur weil der ein oder andere Plan nicht geklappt hat. Es gibt noch viele weitere Menschen mit Visionen und Geld.

Geben wir einem Wahrzeichen Bad Essens diesmal eine Chance.

Liebe Mitbürger, werdet aktiv, denn immer noch gilt in unserem Land: „Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus!“
Die Hoffnung stirbt zuletzt. Meine ist aufgrund meiner Erfahrungen allerdings schon lange tot.

Jutta Lange-Lücht (Eingeborene)

geschrieben am 15.03.2018
veröffentlich im Eichen-Linden-Kastanienblatt am 21./22.03.2018
gekürzt veröffentlicht im Wittlager Kreisblatt am 24.03.2018


Hinweis der Initative: Leserbriefe, die hier unter der Rubrik „Meinungen“ zu finden sind, sind stets persönliche Meinungsäußerungen des jeweiligen Verfassers, welcher jeweils am Ende des Textes benannt ist.